Anlässlich des berüchtigten ZDF-Interviews mit Bundesinnenminister Friedrich: Die Diskussion wird sowohl von den Sicherheitsfanatikern als auch von den Freiheitsfanatikern (der Netzgemeinde, den Piraten usw.) zu dogmatisch geführt. Das Kernproblem ist: Wir wissen nicht, was wir nicht wissen.
Am Ende geht es um eine Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit. In einer Zeit, in der Strafe einen Attentäter nicht abschreckt, weil er sowieso ein Selbstmordattentat plant, ist Sicherheit ohne Prävention nicht erreichbar. Das kann uns gefallen oder nicht, ich persönlich würde es allerdings nur ungern darauf ankommen lassen.
In diesem Sinne ist die Existenz von Überwachungsprogrammen wie PRISM & Co nicht überraschend. Es ist ohnehin bekannt, dass jedes Land Geheimdienste betreibt, und selbstverständlich tun diese Geheimdienste ihr Bestes, um ihren jeweiligen Auftrag zu erfüllen. Erstaunlich ist also nicht, dass es solche Programme gibt. Erstaunlich ist das schiere Ausmaß. Dieses Ausmaß (und die bekanntgewordenen Details zur „demokratischen Kontrolle“), werfen Zweifel an der Verhältnismässigkeit auf.
Es geht also nicht um „PRISM (& Co.) Ja oder Nein“, sondern um die viel differenziertere Frage, ob Prism (& Co.) an sich und ihre demokratische Kontrolle dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entsprechen. Der Bundesinnenminister argumentiert (zugegebenermaßen etwas ungeschickt): „Ja“. Die Piratenpartei und die Netzgemeinde (als Stellvertreter für viele) argumentieren sehr dogmatisch: „Nein“.
Andere hängen das Fähnlein nach dem Winde und verfolgen ihre eigenen Interessen. Die Hitze der Diskussion ist geprägt von den Medien und der Opposition: Die Medien stürzen sich auf den Skandal, und die Opposition stürzt sich auf die Regierung, und leider ist beides für eine nuancierte Diskussion und damit für das Vertrauen in die Demokratie nicht hilfreich. Sicher wissen die innenpolitischen Experten wenigstens der SPD mehr über die Details. Immerhin war Otto Schily (SPD) für über sieben Jahre selbst Innenminister, und auch die Opposition ist im Parlamentarischen Kontrollgremium der Nachrichtendienste vertreten. Das hindert sie aber nicht daran, öffentlich genauso zu polarisieren wie bspw. die Piraten. Dass sie durch die Extrempositionen das Vertrauen in die Demokratie erschüttern, steht auf einem anderen Blatt. So wird die Demokratie durch PRISM auf zwei Weisen beschädigt: Einmal durch die Existenz der Abhörprogramme selbst, und einmal durch die dogmatische Diskussion darüber.
Zurück zur Sache: Die Argumente auf der Seite „PRISM geht zu weit“ sind bekannt, vielfach wiederholt und können offen diskutiert werden. Ich unterstütze alle diese Argumente und stehe selbst auf der Seite „PRISM & Co. gehen zu weit“.
Die konkreten Argumente, die für die Verhältnismässigkeit sprechen, sind nicht bekannt und können nicht offen diskutiert werden. Dafür gibt es sowohl schlechte als auch gute Gründe.
Schlechte Gründe sind beispielsweise: „gefährdet die Wiederwahl“, „die Opposition und die Medien werden sich darauf stürzen“, „wir verlieren Rückhalt in der Bevölkerung“. Diese Gründe sind sicher real, und diese und andere, ähnliche Gründe versperren den Blick darauf, dass es auch gute Gründe für Geheimhaltung gibt.
Gute Gründe sind beispielsweise: „Terroristen werden vorsichtiger kommunizieren“, „Terroristen können abgehörten Kanälen gezielt aus dem Weg gehen“ und so weiter.
Vielleicht hat Friedrich & Co. recht, vielleicht überwiegen die guten Gründe – und er kann es uns nur nicht sagen? Wir werden es nie erfahren.
Die Bedrohungen durch Terroristen sind real. Über die Intensität dieser Bedrohungen und die unter Terroristen eingesetzten Methoden ist aus guten Gründen in der breiten Bevölkerung nur sehr wenig bekannt. Damit ist – leider – weder die Bevölkerung noch die Medien in der Position, die Abwägung der Regierungen seriös zu beurteilen. Wir können sagen: „Das gefällt mir nicht“ (und es gefällt mir tatsächlich nicht), doch wir sind nicht in der Position zu sagen „Das ist falsch.“
An dieser Stelle könnte die Debatte eigentlich enden, doch es gibt immer noch Medien, die an der Emotion Geld verdienen, und es ist immer noch Wahlkampf. Die Öffentlichkeit wird wohl noch ein paar Wochen länger ihr solides Halbwissen austauschen und das Vertrauen in die Demokratie weiter beschädigen.